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Eberhard Sinner: "Europa greifbar machen"

Welche Rolle spielt Europa für den Freistaat? Welche Einflussmöglichkeiten hat Bayern in Brüssel? Wie wirkt sich die EU auf das tägliche Leben aus? Ist die Türkei reif für die EU? Franz Niedermaier sprach mit dem bayerischen Europaminister Eberhard Sinner.

Bayernkurier: Sie sind bald ein halbes Jahr in Ihrem neuen Amt. Was hat sich im Vergleich zum Posten des Verbrauchschutzministers geändert?

Eberhard Sinner: Früher war das operative Geschäft dominierend. Da ging es um den Neuaufbau einer Struktur, um globale Risiken in den Griff zu bekommen, BSE ist da nur ein Beispiel. Jetzt ist mehr Strategie gefragt, mehr Zusammenarbeit mit den Nachbarn. Eine Priorität ist eindeutig auf Osteuropa ausgerichtet. Spannend ist, zu erleben, wie sich das Mächtegefüge ändert, wie in den nächsten Monaten die Entscheidungsträger wechseln werden, wie sich die Kommissare der neuen EU-Länder machen. Gerade diese Aufbruchzeit der Jahre 2004/2005 müssen wir nutzen, um in Europa präsent zu sein. Bayern wächst jetzt in eine neue Rolle hinein - allein ein Blick auf die Karte genügt, um das zu sehen.

Bayernkurier: Bald wird das Parlament für dieses zusammengewachsene Europa neu gewählt. Befürchten Sie, dass zu wenige zur Wahlurne gehen?

Sinner: Die Sorge über eine geringe Wahlbeteiligung ist berechtigt. Gerade für die CSU ist wichtig, dass viele Leute zur Wahl gehen. Wir haben 99 deutsche EU-Parlamentarier. Um unsere Zahl von derzeit zehn CSU-Abgeordneten halten zu können, brauchen wir zehn Prozent aller deutschen Stimmen. Wenn aber in acht Ländern noch andere Wahlen stattfinden, dann ist dort wohl die Beteiligung höher. Hinzu kommt, dass der Wahlsonntag ans Ende der Pfingstferien fällt, also viele vielleicht noch im Urlaub sind oder das Wochenende zu einem Kurztrip nutzen.

Bayernkurier: Es gibt also noch Defizite bei der Mobilisierung?

Sinner: Man muss den Menschen klar machen, wie wichtig die Wahl ist. Die erste Voraussetzung ist, dass alle, die ein politisches Mandat haben, die Bedeutung der Wahl verinnerlichen. Der Bürgermeister, der Landrat, der Landtags- und der Bundestagsabgeordnete muss genauso mitziehen wie die Europakandidaten. Die können wir nicht auf einsamer Flur im Regen stehen lassen. Es gibt leider auch in den eigenen Reihen noch immer welche, die öffentlich sagen, die Europawahl sei nicht so wichtig. Da ist es auch innerparteilich notwendig, zu sagen: Freunde, 70 bis 80 Prozent der Noten für die Musik, die wir hier spielen, werden in Brüssel gemacht. Wenn wir da nicht mitkomponieren wollen, tun das andere.

Bayernkurier: Warum ist eigentlich Europa so wichtig für Bayern?

Sinner: Wir sind ein wichtiges Exportland. Von unserem Export in Höhe von rund 100 Milliarden Euro geht fast die Hälfte in den EU-Binnenmarkt. Der Euro macht unabhängig von Währungsschwankungen und von Transaktionskosten in andere Währungen. Damit senkt er Risiken und Kosten der Unternehmen und fördert so die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Wichtig ist auch, dass wir durch Standards auf europäischer Ebene unsere Waren binnenmarktfähig machen. Die bayerische Wirtschaft hat immer unter einem zu kleinen Markt gelitten. Denn gerade die innovativen bayerischen Produkte bedürfen hoher Entwicklungskosten - und die spielt man nur auf großen Märkten wieder herein. Binnenmarktstandards sind da natürlich ein Vorteil.

Bayernkurier: Gibt es noch weitere Vorteile?

Sinner: Es gibt einen gewissen Anpassungsdruck, der uns nur gut tun kann, etwa in Bereichen, wo wir hohe bürokratische Hürden haben. Da kann uns ausländisches Know-how sicherlich weiterhelfen.

Bayernkurier: Ein Beispiel?

Sinner: Ein Beispiel ist die europäische Lebensmittelrichtlinie. Die zwang zur Schaffung einer bundeseinheitlichen Lebensmittelhygieneverordnung, durch die wiederum die entsprechenden Verordnungen von 16 Ländern - allein zwei in Bayern - aufgehoben werden konnten.

Bayernkurier: Hat auch Otto Normalverbraucher etwas davon?

Sinner: EU-Standards schaffen Sicherheit. Der Verbraucher muss nicht bei allen möglichen Produkten mit Risiken rechnen. Als Verbraucherschutzminister habe ich auch Themen aufgegriffen, die jeden etwas angehen, etwa die Kundenfreundlichkeit bei Bahn oder Haftungsansprüchen bei Flugreisen. Auch hier bieten EU-Vorgaben dem Konsumenten mehr Schutz.

Bayernkurier: Europakritiker argumentieren aber gerade gegenteilig - es werde zuviel geregelt und vieles bürokratisiert.

Sinner: Sicherlich verirrt sich Europa auch einmal. Das europäische Recht hat einen Bestand von 80 000 Seiten. Bürokratie ist aber nicht nur ein Makel Europas - sie gibt es in den Ländern, beim Bund und auch in der EU.

Bayernkurier: Wie geht man EU-Bürokratie an?

Sinner: Es ist die Tendenz erkennbar, dass das Problem vermehrt gesehen und angepackt wird. Allein durch die Osterweiterung kommt da ein gewaltiger Schub. Die neuen Mitgliedstaaten müssen ja das EU-Recht umsetzen, und bei unsinnigen Regelungen wird sich da sicherlich Widerstand regen. Im Ministerrat gibt es auch die Idee des britischen Schatzkanzlers Gordon Brown, jede Verordnung, sei sie alt oder neu, auf den Prüfstand zu schicken. Sie müsste dann einen Job-Test, einen Cost-Test und einen Notwendigkeits-Test durchlaufen. Die Überprüfung der Verordnungen auf ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf ihre Kosten und auf ihre grundsätzliche Erfordernis kommt jetzt in die Gänge.

Bayernkurier: Besteht nicht die Gefahr, dass nach der Osterweiterung die neuen Kommissare wieder neue Verordnungen produzieren und die Bürokratie noch größer wird?

Sinner: Die Gefahr besteht grundsätzlich schon. Man muss sicher darauf achten, dass die tägliche Produktion von Paragraphen vereinbar gemacht wird mit den ehrgeizigen Wachstumszielen, die sich die EU im Jahr 2000 mit der Lissabon-Strategie gesetzt hat. Bis jetzt ist da noch nichts erreicht, wir stehen da bei Null. Ich glaube aber schon, dass die neuen Mitgliedstaaten hier Druck machen werden. Sie sind ja nicht an mehr Bürokratie interessiert, sondern wollen möglichst schnell in der Wirtschaftleistung vorankommen. Der erste Staat, der laut Studien unser wirtschaftliches Niveau erreichen wird, ist Slowenien - allerdings erst in zwanzig Jahren. Die anderen folgen noch später. Die Beitrittsländer haben aber ein massives Interesse, dass dieser Prozess schneller geht.

Bayernkurier: Es wird also auch bei uns Rück-Effekte geben.

Sinner: Der ganze Prozess der Globalisierung legt schonungslos offen, welche Defizite wir haben - nicht nur in der EU, sondern auch auf nationaler Ebene. Sie brauchen nur einen Blick in die Slowakei zu werfen: Wenn wir den Slowaken Ratschläge im Steuerrecht geben wollen, lachen uns die doch aus. Wir müssen uns gewaltig anstrengen, um unsere Steuer- und Sozialsysteme und unseren Arbeitsmarkt wieder konkurrenzfähig zu machen.

Bayernkurier: Die Schuld liegt also auch auf nationaler Ebene?

Sinner: Sicher. Die Bundesregierung hat die EU-Vorgaben immer noch getoppt, statt sie eins zu eins umzusetzen. Sie treibt da eine Art von Selbstdiskriminierung - und das zu Lasten unserer Wettbewerbsfähigkeit.

Bayernkurier: Wie ist es mit dem Subsidiaritätsprinzip bestellt?

Sinner: Da gibt es noch einiges zu verbessern. Wir wollen in den neuen Verfassungsvertrag der EU die Gemeindeebene mit verankern. Und wir wollen, dass Subsidiarität einklagbar wird. Das hätte zur Folge, dass schon im Ansatz mehr auf diesen wichtigen Grundsatz geachtet würde.

Bayernkurier: Wie unterscheidet sich die Europapolitik der CSU von der der Bundesregierung?

Sinner: Wir sagen, Europa ist eine Wertegemeinschaft. Und: Europa braucht nach dem Beitritt der zehn Staaten eine Pause um sich zu konsolidieren und zu reformieren. Wir schlagen vor, dass wir den neuen Nachbarn der Beitrittsstaaten eine Zusammenarbeit auf anderer Ebene als der Mitgliedschaft anbieten.

Bayernkurier: Sollte in der neuen Verfassung auch eine geographische Definition Europas verankert werden?

Sinner: Das ist schwierig. Aber es ist schon notwendig zu fragen, ob ein Gebilde, das bald 500 Millionen Einwohner zählt, überhaupt noch handlungsfähig ist. Man muss über die Grenzen nachdenken - sowohl geographisch als auch über die Aufnahmefähigkeit und Belastbarkeit der EU.

Bayernkurier: Ein Beitritt der Türkei wäre also ein falsches Signal?

Sinner: Es gibt eine europäische Realität, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Zunächst müssen wir mit den Problemen der Osterweiterung zurecht kommen. Da sind die Herausforderungen riesig. Wenn man etwa den Maßstab Spaniens an Polen anlegt: Spanien hat in den vergangenen sieben Jahren über 50 Milliarden Euro an Strukturmitteln bekommen - und Spanien ist etwa gleich groß wie Polen. Es sind aber noch weitere Staaten in einem jahrzehntelangen Prozess in die EU einzubinden.

Bayernkurier: Die EU wäre also mit der Türkei überfordert?

Sinner: Sicher. Die Türkei hat etwa die gleiche Einwohnerzahl wie alle neuen Beitrittsländer zusammen. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung noch wächst, während sie in den Beitrittsländern eher schrumpft. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf liegt nur bei 25 Prozent des EU-Durchschnitts. Da kann man sich schnell übernehmen.

Bayernkurier: Der Bundeskanzler spricht da aber ganz anders...

Sinner: ... der Bundeskanzler erzählt da Märchen aus 1001 Nacht. Diese Märchen werden auch gerne geglaubt. Und Schröder ist ja auch ein großer Märchenerzähler, was die Arbeitslosenzahlen und die Wachstumsprognosen betrifft.

Bayernkurier: Ist für Schröder das parteipolitische Kalkül wichtiger als das Wohlergehen Deutschlands?

Sinner: Schröder argumentiert zweigleisig.: Zum einen verweist er auf das "pacta sunt servanda" - Verträge muss man einhalten. Zum anderen schielt er natürlich auf die vielen türkischen Mitbürger. Aber er ist sehr weit von der Realität entfernt. Die Menschenrechtsprobleme sowie die Integrations- und Finanzierungsfrage blendet er einfach aus. Das Osteuropainstitut hat ja gerade eine Studie darüber vorgelegt - übrigens für das Bundesfinanzministerium. Es interessiert Schröder offenbar überhaupt nicht, dass dort die jährlichen Kosten eines Türkei-Beitritts auf netto bis zu 14 Milliarden Euro taxiert werden. So wie Schröder in die Sackgasse hineinzumarschieren, ist sicher der falsche Ansatz.

Bayernkurier: Verrät die rot-grüne Bundesregierung deutsche Interessen?

Sinner: Es sind mehrere Fehler in der Europapolitik von Rot-Grün. Das Abwatschen der kleinen Staaten war ein großes Problem. Die Europapolitik Deutschlands hat bis Helmut Kohl immer einen engen Kontakt zu den kleinen Staaten gepflegt. Schröder hat damit gebrochen. Er hat zwar das Weimarer Dreieck Frankreich-Polen-Deutsch- land kurz aktiviert, es aber letztlich wieder beiseite gelegt. Die Dominanzversuche, etwa die Achse Paris-Berlin-Moskau beim Irakkrieg, weckt die schlimme Erinnerungen bei den Polen. Auch die Äußerungen von Chirac mit seinem Maulkorberlass für die Beitrittsländer sind sehr problematisch.

Bayernkurier: Spielt hier auch das mehrfache Brechen des Stabilitätspaktes eine Rolle?

Sinner: Das permanente Sich-Hinwegsetzen über Spielregeln ist natürlich katastrophal. Wie kann ich etwa von den Polen verlangen, alle Richtlinien umzusetzen, wenn Deutschland und Frankreich als die größten EU-Staaten ständig selbst gegen Verträge verstoßen. Genauso die Geschichte mit den fehlenden Kontrollen am Münchner Flughafen: Wir verlangen von den Polen, dass sie ihre Grenzen sicher machen müssen, Schily hat aber seine Truppe selbst nicht im Griff.

Bayernkurier: Es gibt auch Vorwürfe, dass Berlin Grenzregionen zu den Beitrittsländern nicht unterstützt.

Sinner: Wenn ich in Brüssel sage, wir brauchen eine EU-Förderung für die bayerischen Grenzregionen, kommt die Antwort: Ihr habt ja die Gemeinschaftsaufgabe, ihr könnt ja bis 2006 etwas machen. Bayern macht hier ein 100 Millionen Euro schweres Ertüchtigungsprogramm. Von Schröder hört man da gar nichts. Wenn Deutschland aber die eigenen Spielräume nicht nutzt, machen wir uns in Brüssel unglaubwürdig. Schröder hat die an die Beitrittsländer grenzenden Regionen völlig im Stich gelassen.

Bayernkurier: Wie sieht es mit der Infrastruktur aus?

Sinner: Bayern arbeitet nach Kräften daran, das Notwendige zu machen. Wenn ich aber in Prag bin, höre ich sofort die Frage, wann endlich die Bundesautobahn Nürnberg-Prag fertig wird. Da sind die Lücken noch riesengroß. Unter solchen Umständen leidet das Projekt Osterweiterung natürlich.

 

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