Vor wenigen Tagen stand ich bei einem Besuch in Prag wieder einmal auf dem Balkon der deutschen Botschaft und las die Inschrift auf der dort angebrachten Gedenktafel: " Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland möglich geworden ist. "
Der zweite Teil des Satzes ging am 30. September 1989 um 18:58 Uhr in einem Aufschrei von über 4000 Menschen im Garten der Botschaft, die seit Tagen dort ausharrten, unter. Der diese Worte sprach war der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
Noch keine Gedenktafel ist dort angebracht, wo auch an einem 30. September des Jahres 1938 das Münchner Abkommen im Führerbau am Königsplatz, der heutigen Musikhochschule, unterzeichnet wurde. Hitler, Chamberlain, Daladier und Mussolini waren sich einig über die Abtretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich.
Edvard Benes, Staatspräsident Tschechiens, fühlte sich von den Schutzmächten verraten. " Über uns, ohne uns " war das Empfinden der Tschechen. Benes tritt zurück und geht zunächst nach London ins Exil. Als er 1945 aus Moskau nach Prag zurückkehrt ist für ihn die Sowjetunion eher vertrauenswürdig als die Westmächte.
Am 15. März 1939 wird das restliche Territorium Tschechiens durch die deutsche Wehrmacht besetzt. Die Slowakei wird ein Schutzstaat von Hitlers Gnaden.
Hitler wollte den Krieg. In den Nürnberger Prozessen taucht eine Rede vor den Oberbefehlshabern am 22. August 1939 auf: "die Gegner haben nicht mit meiner Entschlusskraft gerechnet. Unsere Gegner sind kleine Würmchen. Ich sah sie in München. Nun ist Polen in der Lage, in der ich es haben wollte. Ich habe nur Angst, dass mir im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorgelegt. "
In den Bormann Diktaten von 1945 hat Hitler bedauert nicht Krieg angefangen zu haben: " Vom militärischen Standpunkt aus waren wir daran interessiert ihn ein Jahr früher zu beginnen. Aber ich konnte nichts machen, da die Engländer und Franzosen in München alle meine Forderungen akzeptierten. " ( Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler 26. Aufl. Fischer Taschenbuchverlag )
das schreckliche Ende ist bekannt:
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Staatssekretär Hermann Frank hat im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren während der deutschen Besatzung die "Umvolkung" der rassisch geeigneten Tschechen, die Aussiedlung der übrigen Tschechen und die Neubesiedlung durch Deutsche betrieben. Bei diesen Aktionen und bei Massakern wie in Lidice kamen 250.000 Menschen um.
Nach dem Krieg wurden von 1945 bis 1947 2,9 Millionen Personen als Staatsfeinde vertrieben. Grundlage waren die so genannten Benes Dekrete. Edvard Benes hatte im Exil in London und Moskau zwischen 1940 und 1945 einhundertdreiundvierzig Präsidialdekrete erlassen. Damit sollte die Fiktion der Tschechischen Republik erhalten bleiben. Umstritten sind acht dieser 143 Dekrete, insbesondere das Dekret 115/1946, nach dem die Vertreibung der Sudetendeutschen straflos war.
220.000 Deutsche blieben zurück. Das Eigentum wurde konfisziert. Jeder durfte bei der Ausreise nur 40 Kilogramm Gepäck mitnehmen. Betroffen waren Deutsche und Ungarn, anfangs auch 2000 bis 3000 Juden, die von ursprünglich 40.000 überlebt hatten. Durch Erlass vom 13. September 1946 wurden diese von den Dekreten ausgenommen. Für Deutsche, die vor den Nationalsozialisten in die Tschechische Republik geflohen waren, wurden erst 2002 wegen des Status als Antifaschisten die Dekrete aufgehoben.
Die Dekrete werden vor allen Dingen deshalb kritisiert, weil die Vertreibung nicht auf individueller Schuld, sondern nur auf nationaler Zugehörigkeit beruhte und kein gerichtliches Gehör möglich war. Aus der tschechischen Sicht sind die Dekrete eine direkte Folge der Okkupation und heute aufgebraucht und ohne rechtliche Relevanz. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2005 eine Beschwerde gegen die Dekrete abgewiesen. Das slowakische Parlament hat in einer Entschließung am 20. September 2007 festgestellt, dass die Dekrete weiterhin gültig sind.
In der deutsch-tschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997 wurde dazu festgestellt:
Art. II die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung. Dadurch entstandenes Leid und Unrecht wird bedauert.
Art. III die Tschechische Republik bedauert die Zufügung von Leid und Unrecht an unschuldigen Menschen und die Exzesse die gegen humanitäre Grundsätze verstoßen. Sie bedauert auch, dass auf Grund des Dekrets 115/1946 ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen und dass infolgedessen diese Taten nicht bestraft wurden.
Art. IV beide Seiten wollen ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleiben, sehen das Unrecht der Vergangenheit und wollen Verständigung und Einvernehmen in der Zukunft nicht mit der Vergangenheit belasten.
Bei der Abstimmung über den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union im Europäischen Parlament stimmten die CSU-Abgeordneten des Europäischen Parlaments am 9. April 2003 wegen der Benes Dekrete gegen den Beitritt der Tschechischen Republik. Mit 489 Ja-Stimmen hatte die Tschechische Republik das schlechteste Abstimmungsergebnis aller Beitrittsländer.
Bayern hatte von den Ländern der Bundesrepublik Deutschland die meisten Sudetendeutschen nach dem Krieg aufgenommen. Bayern war und ist Schirmherr der Sudetendeutschen. Die Sudetendeutschen wurden als vierter Stamm Bayerns neben den Franken, den Altbayern und den Schwaben voll integriert und haben wesentlich zur positiven Entwicklung Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Die rasche Entwicklung der Industrialisierung in Bayern wäre ohne die Sudetendeutschen nicht denkbar gewesen. Alle bayerischen Ministerpräsidenten fühlen sich den Sudetendeutschen besonders verpflichtet und nehmen regelmäßig an den Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft teil.
Bei seiner Rede am 19. Mai 2002 hat der damalige bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ausgeführt, dass er keinen offiziellen Besuch in Prag machen wird, bevor nicht die Benes Dekrete aufgehoben sind. Aus diesem Grund kam es zu keinem Besuch des Ministerpräsidenten in seiner Amtszeit von 1993 bis 2007. Boris Lazar, ehemaliger Botschafter der tschechischen Republik in Deutschland hat zwar Verständnis für die Rolle Bayerns als Schirmherr der Sudetendeutschen geäußert, hat aber auf der anderen Seite die Belastung des bayerisch/tschechischen Verhältnisses durch das Junktim Stoibers bedauert. Das Bild der Deutschen in der tschechischen Republik wird nicht durch das Saarland bestimmt, sondern wesentlich mehr durch Bayern, dass eine über 300 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit der tschechischen Republik hat. Die tschechische Bevölkerung hatte in einer Volksabstimmung am 14. Juli 2003 mit einer Mehrheit von 77,3 Prozent dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union zugestimmt.
Als ich im Oktober 2003 Europaminister wurde, habe ich mich intensiv um das bayerisch/tschechischen Verhältnis bemüht. Gemeinsam mit den Freunden innerhalb der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament und im Ausschuss der Regionen haben wir die tschechischen Parlamentarier und tschechischen Mitglieder des Ausschusses der Regionen, die aus der ODS-Partei kamen, in die Fraktion der Europäischen Volkspartei integriert. Die Kollegen aus der Tschechischen Republik wurden mehr und mehr zu verlässlichen Partnern in der täglichen politischen Arbeit, während der tschechische Präsident Vaclav Klaus seine euroskeptische Politik pflegte.
zwischen Bayern und der Tschechischen Republik entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit:
Wir feiern 2009 20 Jahre Grenzöffnung, 10 Jahre Einführung des Euro und fünf Jahre Erweiterung der Europäischen Union um die 10 Mittel-Ost-Europäischen Staaten, denen 2007 noch Bulgarien und Rumänien gefolgt sind. Nach einer aktuellen Umfrage von Radio Prag sind 4/5 der Tschechen der Meinung, dass die Europäischen Union positiv für die Tschechische Republik ist und 2/3 sagen auch Europa hat von der Tschechischen Republik profitiert. Auch in Bayern ist die Bilanz positiv. Niederbayern, die Oberpfalz und Oberfranken profitieren ohne Zweifel vom Beitritt der Tschechischen Republik. Dies zeigt sich an den Zahlen des Wirtschaftswachstum und der Beschäftigung in den Grenzregionen. Wichtiger aber ist die Begegnung der Menschen, das gegenseitige Verstehen, das wachsende Verständnis für die gemeinsame Geschichte.
Nach dem Scheitern des ersten Verfassungsvertrages bei Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden ist jetzt der Lissabon-Vertrag während der tschechischen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2009 im Mittelpunkt des Interesses. Das Nein der Iren in einem Referendum beeinflusst auch die Diskussion in Tschechien. Das Parlament hat inzwischen am 18. Februar 2009 mit 125 Ja-Stimmen ratifiziert, der Senat als zweite Kammerberät noch. Während unseres Besuches hatten wir Gespräche mit Senatoren, auch dem Vorsitzenden des Europaausschusses des Senats, Senator Ludek Sefzig. Der tschechische Senat sorgt sich um die Subsidiarität und die Identität. Wir versuchten klar zu machen, dass der Lissabon-Vertrag die Rolle der nationalen Parlamente und die Rolle der Regionen einschließlich der Kommunen in der Europäischen Union stärkt. Am gleichen Tag erlebten wir eine stürmische Sitzung des tschechischen Parlamentes, in der der Ministerpräsident Mirek Topolanek mehrfach das Wort in einer Geschäftsordnungsdebatte ergreifen musste. Die Mehrheitsverhältnisse, die in einer Pattsituation grundsätzlich kritisch waren, erschienen uns zunehmend unklar. Die Regierung ist mehr als labil.
Ministerpräsident Dr. Günther Beckstein hatte vor, in die Tschechische Republik zu reisen. Am 17. Oktober 2007 war es bereits anlässlich des Länderspiels Deutschland: Tschechische Republik zu einem Treffen mit Ministerpräsident Mirek Topolanek in der Allianz Arena gekommen. Das Treffen fand in einer herzlichen und aufgeschlossenen Atmosphäre statt. Die Mannschaft der Tschechischen Republik gewann 3:0 gegen Deutschland. Nach der Landtagswahl 2008 hat der neue Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer in der Kontinuität zu Günther Beckstein seinen Besuch in Prag angekündigt.
Wir hoffen, dass die Tschechische Republik ihre Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2009 erfolgreich weiter gestaltet. In dem in München geplanten NS-Dokumentationszentrum wird eine ausführliche Ausstellung zu den Münchner Verträgen zu sehen sein. Die Gedenktafel an die Unterzeichnung der Münchner Verträge, die ich gerne schon im Jahr 2008 angebracht hätte, wird im Zusammenhang mit dem NS-Dokumentationszentrum realisiert.
Wir wünschen uns, dass die tschechische Schwesterpartei ODS noch einmal über ihre Ankündigung, nach der Europawahl am 7. Juni nicht mehr in die Fraktion der Europäischen Volkspartei einzutreten, nachdenkt. Eine starke Volkspartei der Mitte mit tschechischer Beteiligung wäre für die weitere Entwicklung der Europäischen Union ein Fundament mit Zukunft. Wir hoffen auch, dass der Lissabon-Vertrag sobald wie möglich ratifiziert wird. Dieser Vertrag macht Europa bürgernäher und demokratischer. Der Raum des Friedens, der Freiheit und des Rechtes wird stabiler und damit auch das bayerisch/tschechische Verhältnis. Die Ackermann Gemeinde hat zu dieser Entwicklung einen gewaltigen Beitrag geleistet.